Jutta H.E. Krause / Jutta Krause: meine literarischen Impressionen

Es muss einer jener trüben lichtlosen Tage gewesen sein, deren Düsternis das Leben noch schwerer machte, als es ohnehin schon war, an dem die müden Füße schwer wie Bleiklumpen wurden, an denen ein jeder Gedanke von Erschöpfung begleitet wurde. Seit mehreren Jahren schon war sie Witwe. Ihre drei Kinder, die alte Mutter und eine Nichte lebten mit bei ihr im Haushalt. Ihre Aufgabe war es, für den Unterhalt zu sorgen, denn es gab kein Vermögen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte.

Ihre wenigen wertvollen Habseligkeiten waren alle dem Auktionator zum Opfer gefallen, und wieder einmal wusste sie nicht, wie sie die Miete für die kleine hässliche Unterkunft bezahlen konnte.

Aber etwas in ihr war stärker als alle Hoffnungslosigkeit. Es war, als sage es ihr: „Eines Tages wird diese Not ein Ende finden, und die verschlossenen Türen der Mächtigen werden sich dann wie von Zauberhand öffnen, mich eintreten lassen und mir helfen.“

Sie blickte auf ihre alten abgetretenen Schuhe hinunter, während sie auf dem langen Gang mit den Marmorböden auf – und abging.

„Der Graf hat sehr viel zu tun heute“, hatte der Diener gesagt, und der Wachtposten vor dem Haus hatte sie misstrauisch beäugt und gewiss für eine Bettlerin gehalten.

Sie fror und rieb ihre kalten Hände. Dabei war es nicht kalt in dem Palast, in dem gewiss die Diener an jedem Morgen das schwelende Feuer in den Kaminen neu zu wärmenden Flammen entzündeten, bevor sich der Graf aus den seidigen Laken seines riesigen Bettes herauswickelte, in einem köstlich duftenden Schaumbad versank und sich danach ankleiden und isieren ließ.

Sie betrachtete die marmornen Steine und dachte sich, dass sie sich nicht einen einzigen davon leisten könne, während hier Prunk und Überfluss herrschten.

„Ich wollte, ich könnte schon an meinen Schreibtisch zurückkehren“, wünschte sie sich, „ doch das geht nicht, nicht, bevor ich dem Grafen meine Bitte vorgetragen habe.“ Noch einmal wiederholte sie bei sich die Worte, die sie sagen wollte:

„Herr Graf, bitte erlasst mir die zumindest einen Teil der Schulden, denkt doch daran, dass ich für eine Familie zu sorgen habe. Oder nehmt mich in eure Dienste – als Schreiberin oder auch als Magd, damit ich diese unverschuldeten Schulden abtragen kann.“

Demütigend war es, arm zu sein!

All diese abschätzenden, verächtlichen Blicke, denen sie schon seit langem entgegentreten musste, dieses Getuschel hinter ihrem Rücken, die Gerüchte um sie, die Alleinstehende, dass sie selbst Schuld an ihrem Unglück sei, da sie das Erbe ihres Mannes mit Liebhabern durchgebracht habe. Es machte sie zornig, wenn sie an diese Lügen dachte. Doch es war nicht die Zeit für Zorn, sondern die für Mäßigung, denn wie sollte sie sonst etwas erreichen?

Eine hysterische Frau hatte gar keine Chance.

„Irgendwo muss es einen Ort geben, einen für Frauen wie mich, mit ihren Kindern, der alten Mutter und der armen Nichte, einen Ort, an dem eine gütige Macht uns aufnimmt und für uns sorgt, so dass Gerechtigkeit, Vernunft und Rechtschaffenheit wieder einen Platz in der Welt haben.“

Doch sie wusste genau: Diesen Ort gab es nicht, er entsprang nur ihrer Phantasie und hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

„In meinem Buch aber“, dachte sie, „da gibt es diesen Ort. Drei Frauen – eben die Gerechtigkeit, die Vernunft und die Rechtschaffenheit sind die Hauptpersonen in ihm, und sie raten mir, eine neue Stadt zu bauen, die Stadt der Frauen. Und jene werden Frauen verteidigen, die unversehens in Armut gefallen sind und dem Hohn und Spott, der Verleumdung und der Missachtung ausgesetzt sind – von jener boshaften Person, die ich Frau Meinung nennen werde.“