Jutta H.E. Krause / Jutta Krause: meine literarischen Impressionen

 

Im November 2011 wurden in Zusammenarbeit mit der Designerin Birgit Frische (Layout und Bilder dazu sind von ihr), von Aliou Sangaré und mir als Bilderbuchkino für Kinder zwei Geschichten vorgestellt: „Die Prinzessin und der verzauberte Drache“ von Aliou Sangaré und meine Geschichte „Das bunte Mädchen.“

Zum Inhalt: Ein Baby wird von der Hebamme ausgesetzt, da es anders aussieht als Neugeborene nach Meinung der abergläubischen Hebamme zu sein haben. Der Fluss trägt das Kind zu einem fernen Land, in dem der afrikanische Junge Upenyu es findet und in sein Dorf trägt. Aber auch dort stößt es auf Ablehnung. Einzig Upenyus älteste Schwester hat Mitleid mit dem kleinen Wesen und zieht es heimlich auf. Als das Mädchen später zufällig am Fluss Upenyu trifft, vollzieht sich eine wundersame Wandlung…

Hier ist ein Textausschnitt!

Das bunte Mädchen

In früheren Zeiten, als es noch keine Bücher und CDs gab, zogen Geschichtenerzähler durch das Land und erfreuten die Menschen mit Sagen und Märchen. Diese Geschichtenerzähler nennt man in Afrika Griots. Einer von ihnen war Upenyu. Als er nach einem langen erfüllten Leben spürte, dass sein Ende nahe war, rief er seinen einzigen Sohn zu sich und ermahnte ihn: „Lieber Sohn, Hab und Gut kann ich dir nicht vermachen, aber viele Geschichten und meine Stegharfe, die Kora, die deine Worte mit ihrer Musik begleiten wird. Versprich` mir, wie ich ein Griot zu werden .“

„Ich verspreche es“, antwortete Upenyu der Zweite - so hatte ihn sein Vater genannt.

Zur gleichen Zeit, in einem anderen Teil der Erde, erblickte ein kleines Mädchen das Licht der Welt. Eine alte Frau namens Marthe, die seiner Mutter bei der Geburt geholfen hatte, legte es am Fluss in ein winziges Boot mit einem winzigen Segel.

„Ich muss das tun“, sprach sie betrübt, „so, wie du aussiehst, so voller bunter Tupfen in allen Farben des Regenbogens, wird man dich hier als Kind des Bösen bezeichnen und töten. Vielleicht aber trägt dich der Fluss in eine andere bessere Welt.“ Und sie stieß das Boot vom Ufer ab und kehrte in ihr Dorf zurück.

Als die Mutter des Babys aus tiefem Erschöpfungsschlaf erwachte, berichtete sie ihr: “Dein Kind ist tot auf die Welt gekommen, und ich habe es bereits im Wald beerdigt.“

Lange trauerte die junge Frau um ihr Baby, doch die Zeit verging, und sie half, ihren schlimmen Schmerz langsam zu besänftigen.

Auch Upenyu trauerte noch lange um seinen verstorbenen Vater. Schließlich war er erst fünf Jahre alt, und der Vater fehlte ihm sehr. Doch er übte täglich viele Stunden am nahe gelegenen Fluss das Spiel der Kora. Wenn er an dessen Ufer saß, war es ihm, als löse sich sein Kummer auf und verschwinde im Wasser des Flusses, der ruhig und gemütlich wie eine uralte Frau seinem Lauf folgte, unbeirrbar und dennoch voll seltsamer Geheimnisse.

Von ihm erzählte man sich, dass er der Fluss der alten Götter sei und der der Geister. – An manchen Tagen, wenn die Morgennebel in hellen Schleiern über dem Wasser aufstiegen, schien es Upenyu sogar, als glitten durchsichtige weiße Gestalten über die Wellen, und das Murmeln und Rauschen des Flusses verwandele sich in einen leisen, fast unhörbaren Gesang.

An diesem Morgen jedoch fegte ein heftiger Wind über das Wasser, jagte durch Büsche und Bäume am Ufer, zerrte an den Blättern und riss sie mit sich. Die Wellen bildeten weiße Kronen aus Gischt und Schaum, und Upenyu unterbrach sein Saitenspiel und starrte wie gebannt auf die Fluten. – Schon wieder rollte eine hohe Welle heran, trieb Blätter und kleine Holzstücke von Baumästen vor sich her, öffnete sich dann wie ein riesiges Maul und warf etwas an das Ufer.

Danach kehrte Stille ein. Ruhig zog der Fluss seine Bahn, und der Wind verwandelte sich in leises Flüstern. Upenyu wollte gerade wieder zu seiner Kora greifen, als er etwas Merkwürdiges erblickte. Am Ufer des Flusses wiegte sich ein kleines Boot, drängte sich tiefer in das Schilf und blieb dort liegen.

Langsam ging er näher und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. In dem Boot lag ein über und über bunt getupftes Baby, eingewickelt in weiße Leinentücher. Das Boot aber schaukelte es wie eine Wiege. Der Fluss der Geister hatte ein Baby gebracht!

Vorsichtig zog Upenyu Baby und Boot aus dem Wasser und trug beides ins Dorf zu seiner Familie.