Seit Ende 2016 habe ich mich einem Literatentreff in
Schneverdingen angeschlossen und dort bei zwei Lesungen mitgewirkt.
Im „De Theeshof“ in Schneverdingen
am 20. Januar 2017 zu dem Thema „Jahreszeiten“
am 3. November 2017 zu dem Thema „Tierisch fabelhaft“.
Es
folgt ein Textausschnitt zu dem Krimi, den ich zu dem Thema geschrieben habe.
Kommissar
Brösch und das große Rätsel um ein kleines Dorf
Das
kleine 500 Seelen-Dorf hatte sorgsam gepflegte Gärten, Häuser, die von ihren
Besitzern liebevoll geweißelt oder in zarten Erd – und Pastellfarben gestrichen
waren, blumenreiche Vorgärten, eine Kirche, die vor kurzem restauriert worden
war, kurz, dieses kleine Fleckchen Erde hatte alle Attribute wie lieblich,
freundlich, gepflegt, hübsch und schön.
Es hatte auch einen kleinen Lebensmittelladen im Zentrum des Ortes – einen der letzten dieser Art, die man im Volksmund auch `Tante Emma Laden` nannte. Wie ein Requisit aus vergangener Zeit hatte er sich seine Existenz bis jetzt bewahrt. Und das sollte auch so bleiben, hofften die Bürger, denn bis zum Discounter im größeren Nachbarort war es eine ziemlich weite Strecke. Außerdem enthielt der kleine Laden fast alles, was an Lebensmitteln für den täglichen Gebrauch benötigt wurde. Doch nun schienen seine Tage gezählt, denn wieder einmal hatte ihn ein Einbruch erwischt. Unzählige Scherben bedeckten den Boden, und das Fensterloch kam dem eilig herbei gerufenen Kommissar Brösch vor wie ein hungriges spitzzahniges Maul, das ihm entgegengrinste. Fleischtheke und Regale mit den Fertiggerichten in Dosen gähnten in verlassener Leere, einsame Zeugen des nächtlichen Einbruchs und Diebstahls.
Vor
Betroffenheit zitternd stand der Besitzer vor dem Chaos.
„So
etwas passt nicht in unser Dorf.“, wiederholte er immer wieder. „Schon zum
dritten Mal lasse ich hier eine neue Fensterscheibe einbauen und muss die
geraubten Lebensmittel wieder ersetzen. Mittlerweile glaube ich nicht mehr
daran, dass dieser Zustand sich ändert, und am liebsten möchte ich meinen Laden
für immer schließen. Vielleicht ist dies sogar ein Wink des Schicksals, das uns
vor einem großen Unheil warnen will.“
Brösch runzelte die Stirn. „Unsinn, das Schicksal hat kein Interesse an Fleisch und Wurst“, kommentierte er und fragte nach den Aufzeichnungen der Videokamera. Auf der aber sah man nichts außer einem riesigen dunklen Schatten. Ein langes schlauchartiges Gebilde mit zwei kurzen, Greifer ähnlichen Stummelfingern an dessen Ende streckte sich aus dem Umhang, sammelte die Waren und ließ sie in die weiten Falten gleiten.
„Schweinerei“,
sprach Brösch vor sich hin, und sein kriminalistischer Ehrgeiz erwachte
allmählich. Den oder die Täter würde er finden, das stand fast. Verärgert sah
er plötzlich, dass die Putzfrauen bereits die Scherben zusammen kehrten und mit
flinken Händen begannen, den Fußboden zu wischen. „Das ist Verhinderung der
Polizeiarbeit!“, brüllte er. „Wie zum Donner kann ich jetzt noch nach
Fußabdrücken suchen lassen?“ Doch ein Blick auf den verzweifelten Ladenbesitzer
bremste seinen Zorn.
Um
den Tatbestand mehr zu erhellen, ging er gemeinsam mit seinem Belgischen
Schäferhund von Haus zu Haus und befragte die Einwohner. Vielleicht hatte ja
jemand von ihnen einen Hinweis oder sogar etwas von dem nächtlichen Überfall
gehört oder gesehen. Doch das war ein sinnloses Unterfangen.
Denn:
Alle im Dorf schwiegen sich sozusagen aus.
Verärgert
titulierte Brösch bei sich die Stummen mit allen möglichen tierischen Schimpfnamen. `Dumme Pute`, nannte
er die junge Blondine im Latzanzug, die gerade Unkraut in ihrem Garten zupfte
und tat, als spreche er in einer fremden Sprache. Sogar sein Oxford-Englisch
schien sie nicht zu verstehen und zupfte weiter.
Der
junge Mann, der sich unter einem der Bäume im Park räkelte, pustete ihm nur den
Rauch seiner Zigarette ins Gesicht und zuckte die Achseln, während seine vielen
Glitzertattoos auf den Armen sich mit der brennenden Sonne zu vereinen schienen
und Brösch blendeten. `Faultier`, nannte er ihn in seinen Gedanken, der dicke
Mann an der Tankstelle war für ihn ein `alter dummer Ochse` und die auf dem
Spielplatz lachenden und kletternden Kinder `eine Herde dummer kleiner Schafe`.
Doch
so sehr er sich auch ärgerte, außer einem großen Schweigen und Gesten wie
Kopfschütteln und Achselzucken war nichts aus den Dorfbewohnern herauszubekommen.
Die alte Frau am Straßenrand hielt eine schwarz-weiß gefleckte Katze in ihrem Arm und sprach leise auf sie ein, so leise, dass Brösch nichts verstand. Der Schäferhund trabte auf sie zu und setzte sich neben sie. Da er Katzen mochte – eine sehr ungewöhnliche Eigenschaft – hob er seine rechte Pfote und ließ sie durch deren Fell gleiten. Die Alte lächelte, und ein Schimmer von Jugend schien über ihr Gesicht zu gleiten.
„Guter Hund“, murmelte sie, während die Katze sich aus ihrem Arm drängte, auf den Boden sprang und sich schnurrend auf den Rücken legte. Der Schäferhund - sein Name war übrigens Kingkong - verstand die Aufforderung und streichelte weiter. Brösch schüttelte den Kopf. „Was für ein komischer Hund du doch bist!“
„Es ist
nicht so, wie sie denken“, hörte er die Alte plötzlich, „nichts ist so, wie Sie
es denken. Es ist einfach eine Aktion der Außerirdischen. Sie kommen nachts und
zerstören, denn sie suchen, suchen, was nicht zu finden ist.“
`Das
ist verrückt`, fand Brösch und schickte sich an, weiterzugehen, doch die
krächzende Stimme der Alten folgte ihm und wiederholte ihre Worte.
„Spökenkiekerei“,
sprach Brösch laut vor sich hin. Doch ihm war es plötzlich, als riesele ein
kalter Schauer über seinen Rücken. Er pfiff dem Hund, der langsam und unwillig
schließlich seinen Flirt mit der Katze aufgab und hinter ihm herzockelte.
Brösch
war Realist und glaubte nicht an so einen Unfug wie Ufos oder Außerirdische.
Ihm
war klar: Für diese Zerstörung gab es eine völlig irdische Ursache. Und das
seltsame Verhalten der Einwohner zeigte ihm nur, dass Aberglaube und
Spinnereien auch in diesen Zeiten noch nicht ausgestorben waren.
Nachmittags
ärgerte er sich über die Spurensicherung, die ihm mitteilte, dass es auch nach
einer zweiten Überprüfung keinerlei Hinweise auf den oder die Täter gegeben
hatten.
Unverrichteter Dinge fuhr er am Abend nach Hause zurück.
Seine
Ehefrau versuchte vergeblich, ihn aufzuheitern, sein Filius berichtete
begeistert von einem Zirkusbesuch mit der Schulklasse, und die Tochter
schmollte wieder einmal, als er sich weigerte, ihr Taschengeld aufzubessern.
„Alberne
Gans“, brummte er vor sich hin, als er sich anschickte, mit Kingkong die
Abendrunde anzutreten.
Es
war ein lieblicher Spätsommerabend, das dichte Laub der Bäume schimmerte in
sattem Dunkelgrün, Glühwürmchen tanzten wie kleine Irrlichter um ihn herum,
eine sanfte Nacht atmete ihren Duft unter einem wolkenlosen Sternenhimmel, in
welchem der Mond wie ein orangefarbener Lampion leuchtete. Es war eine Nacht
für Poeten, aber nicht für einen Kommissar, der einen schwierigen Fall zu lösen
hatte.
Doch
vielleicht war es auch eine Nacht der Inspiration, denn Brösch beschloss, noch
einmal zum Tatort zurückzufahren. Irgendetwas, gleichsam eine innere Stimme
riet ihm, dieses zu tun.
Dort
angekommen, zogen plötzlich dichte schwarze Wolken über den Himmel, lautes
Grummeln kündete von einem sich nähernden Gewitter, und bis auf einige funzlige
Straßenlaternen schien die Stadt wie bedeckt von einer düsteren Patina. Sogar
die geweißelten Häuser wirkten grau und stumpf, und kein Licht drang durch die
mit schweren Rollläden geschützten Fensteraugen.
Brösch
parkte seinen PKW und machte sich mit Schäferhund, Taschenlampe und
sicherheitshalber auch Dienstwaffe auf den Weg zum `Tante Emma Laden`. Da
zuckten bereits die ersten Blitze, gefolgt von heftigen Donnerschlägen, und
Hagelkörner trommelten auf seine Schirmmütze.
Unbeeindruckte
von Blitz, Donner und Hagel bewegte sich ein dunkles riesiges Etwas auf den
Laden zu.
„Stehen
bleiben!“, brüllte Brösch, doch das Etwas hatte bereits das Ladenfenster
erreicht. Mit lautem Klirren gab es den Weg ins Innere des Geschäftes frei.
Vergeblich knurrte und bellte Kingkong, vergeblich schrillte die Alarmanlage.
Hinter den Rollläden der Häuser rührte sich nichts. Mittlerweile hatte sich der
Hagel in Regen verwandelt. Wie aus Kübeln geschüttet klatschte er auf den
Asphalt, glich einer durchsichtigen Wand, während der leiser werdende Donner
vermuten ließ, dass das Gewitter vorüberzog. Das unbekannte Wesen aber war
bereits im Dunkel der Nacht verschwunden.
Durchnässt,
aber zufrieden verließ Brösch den Tatort. Für ihn war der Fall gelöst.